Samstag, 16. Mai 2015

[Cape Town] How the other half lives.

Ich hab lange überlegt, ob ich diesen Beitrag überhaupt schreiben soll.
Ich wollte ihn schreiben, doch ich war unsicher, ob er dem Blog angemessen ist und vor allem war ich unsicher, ob er wirklich dem gerecht wird, was ich gesehen und gehört hab. Und trotzdem find ich's wichtig. Weil neben den ganzen Pinguinen und Bergen und Straußenfilets und Camps-Bay-Beach-Tagen ist eben auch das Südafrika.

Es ist ein strahlender Samstag, als Charlie, ein Freund, uns durch seine Nachbarschaft führt - Vrygrond and Overcome Heights, wo ich arbeite. Eines der ersten inofiziellen Township-Siedlungen Südafrikas und Heimat von 42.000 Menschen, 5.000 davon Kinder. 
Charlie selbst, einen guten Kopf kleiner als ich, geht singend und tanzend voran. Er ist im Township bekannt wie ein bunter Hund. Wegen meiner beiden Jobs, sagt er, lacht und und zeigt die große Narbe an seinem Arm, die früher mal ein Gang-Tattoo gewesen ist. Jetzt ist er Kunstlehrer und seine Zeichnungen beweisen echtes Talent. Und die Kinder lieben ihn - bald folgt uns eine Traube davon. Weiße, Weiße, rufen sie und wollen unsere Hände anfassen und unser Haar. Ohne Charlie würde ich mich wohl wie ein Eindringling fühlen, ein Fremdkörper in einer neuen Welt.
Ein paar Meter weiter treffen wir Zukiswe, eine unser Schülerinnen vor ihrem Haus - Bretterzaun und Wellblechdach, doch immerhin ein kleiner Garten und ein Carport. Stolz stellt sie uns ihre Kinder vor. Es seien aber nicht alles ihre, Cousins und Cousinen seien heute auch hier. Ihre Schwester sei arbeiten, als Maid in Marina de Gama, einem reichen Wohnviertel grade mal fünf Minuten von hier. Klischees von Weißen mit schwarzen Putzhilfen treffen hier noch zu. Sie brauchen einfach mehr Jobs, hier in Südafrika, sagt Zukiswe. Es gibt nicht genug Arbeit für alle. Vor allem nicht für die breite Masse. 24 % Arbeitslosigkeit gibt es offiziell, die Dunkelziffer natürlich weit höher.
Viele Kinder kommen nie weiter als bis zu ihrer Pre-School Graduation. Für uns eine unmögliche Vorstellung, aber hier ist die Tatsache eben wichtiger, dass etwas zu essen auf den Tisch kommt, Geschwister müssen gehütet werden und der Haushalt geschmissen, wenn beide Elternteile arbeiten. Viele kommen auch, wie Viviane aus unserem Computer-Kurs, nach Cape Town und hoffen dort auf ein bessers Leben, Schulabschluss, Freunde und Verwandte lassen sie in Eastern Cape zurück. Diese weniger erfreuliche Perspektive hindert aber kein Kind hier daran, Träume zu haben: Lehrer wollen sie werden, Krankenschwestern, Feuerwehrmänner oder berühmte Hollywood-Stars.
Die Traube Kinder folgt uns immer noch, genauso wie alle Blicke. Mal gleichgültig, mal
misstrauisch, aber eigentlich fast nie unfreundlich. Uns wird Street Food angeboten, ein neuer Haarschnitt und jede Menge High Fives, während wir an Wellblechhütten und kleinen schicken Häuschen mit Carport und Alarmsystem vorbei laufen, immer darauf bedacht, den Tretminen an Müll auf dem Weg auszuweichen. Man möchte den Menschen hier ein paar Mülleimer schenken, eine geteerte Straße und ein Klo für jedes Haus, sodass sie sich keine absperrbare Dixie-Toilette auf dem schlammigen Weg mit 5 anderen Familien teilen müssen.
Die Lebensfreude hier, auf den ungeteerten Straßen ist trotzdem groß: Braaii-Grills sind an jeder Ecke aufgestellt, Friseursalons in alten Maersk-Containern beschallen die ganze Straße mit ihren Bässen und in etwas, das aussieht wie ein Kartenhaus, sind ein Billardtisch und eine Bar versteckt. Die Spieler prosten uns zu und wünschen uns einen schönen Tag. Die dealen hier, erzählt Charlie munter, hab mal mit denen gearbeitet. Unser Winken wird ein wenig verhaltener - sie lachen nur und prosten uns zu, die gefälschten Ray Ban Sonnenbrillen hochgeschoben. Ein paar Meter weiter spielen Kinder und Hundewelpen nebeneinander in einer Seitengasse. Spgar dasTownship selbst ist voller Gegensätze - wie auch das ganze Land.
Bald danach sind wir zurück auf geteerten Straßen. Den Abend verbringen wir auf der anderen Seite der Stadt in Camps Bay - beim Billard und einem Feierabend-Bier. Also eigentlich gar nicht anders, als unsere Freunde im Township.

6 Kommentare:

  1. Wow, was für ein Beitrag. Hat mich richtig gepackt und mitgenommen. Wachgerüttelt. Zum nachdenken gebracht. Zum Glück hast du ihn geschrieben! Ich lese solche Texte so gerne, weil ich solche Erfahrungen vermutlich nie selbst machen werde. Und es fasziniert mich jedes Mal, dass die ärmsten Menschen oft die glücklichsten sind. Liebe Grüße

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    1. Vielen, vielen Dank für deinen Kommentar, der hat mich auch sehr berührt. Ich freu mich, dass ich mit meinem Text auch das erreicht habe, was ich wollte, denn auf keinen Fall wollte ich nur das "Arme-Leute-Bild" vermitteln. Liebste Grüße

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  2. Ich finde es sehr wichtig auch solche Eindrücke mit der breiten Masse zu teilen. Eigentlich weiß jeder, dass Südafrika ein Land der krassesten gesellschaftlichen Gegensätze ist, Kapstadt quasi der Inbegriff der "Klassentrennung". Aber dennoch preist jeder nur die Bilderbuchseite an, die Slums werden meist verteufelt und totgeschwiegen. Dabei finde ich sowas ja meist am interessantesten. In Vietnam sind wir auch durch allerhand arme Viertel gestapft, bedroht gefühlt haben wir uns nie - in Albanien genauso wenig. Man muss den Leuten die Angst vor diesen Vierteln nehmen. Top Bericht, find ich klasse! :)

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    1. Danke für deinen Kommentar!! Ich freu mich, dass du diese Erfahrung in Vietnam genauso wahrgenommen hast: Dass es nämlich nicht bedrohlich oder so ist (nachts ist das Thema vielleicht noch mal anders...aber allgemein gesprochen) und dass die Menschen eben auch einfach nur Menschen sind. Ich finde, das vergisst man gerne mal, wenn man über so etwas hört oder liest - man ist dann irgendwie zwar voller Mitleid oder vielleicht auch leichtem Ekel, aber wenn man mal dort war, sieht man, dass man eigentlich nicht viel anders ist, als die Menschen, die da leben :)

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  3. Ein wirklich toller Blogbeitrag und genau diese Eindrücke möchten wir doch lesen! Dein Post stimmt natürlich ein wenig nachdenklich, aber das ist auch gut so. Manchmal reicht ganz wenig zum Leben - aber Träume zu haben, für die man lebt, ist genauso wichtig... Ich kann mir vorstellen, wie emotional diese Erfahrung für dich war. Alles Liebe, Vanessa <3

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    1. Vielen Dank, meine Liebe! Du hast Recht, diese Erfahrung hat mich wirklich ziemlich aufgewühlt - weil es auch noch mal was anderes ist, wenn man die Menschen, die dort leben persönlich kennt und Freundschaft mit ihnen geschlossen hat. Aber was die Träume betrifft, hast du Recht: Der Glaube kann manchmal Berge versetzen!

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